Mittwoch, 12. September 2007

Sturm und Drang in Tokyo

Fitow hat sich als recht lichtscheuer Geselle entpuppt und ist erst in der Nacht durch Tokyo gestürmt, wodurch ich ganz elegant den wütenden Taifun verschlafen konnte. Der Betonbunkerbauweise meiner Herberge geht zwar jegliche Ästhetik ab, dafür halten einen jedoch auch Windstärken im zweistelligen Bereich nicht vom Schlaf ab - das geschieht anders. Auch gestern litt ich wieder an Schlafstörungen - in Form dreier Briten, die in einer Spätvorstellung eine interessante Mischung aus Hustenanfällen und Grunzlauten zum Besten gaben. Daß die Hochbetten jegliche Bewegung von der einen Person auch für die andere spürbar machen, verbesserte die Situation keineswegs. Ich versuchte einfach, an Erdbeben zu denken, mich in japanischer Höflichkeit zu üben und in stiller, ehrlicher Freude über meine neue Mietwohnung einzuschlafen.

Ja! Am 15. September ziehe ich in ein schickes kleines Zimmer in einem Appartement-Haus nahe Tokyo. Oder in Tokyo - da es sich hier sowieso um ununterbrochene Städtelandschaft handelt, kann jegliche Genzziehung bloß administrativ motiviert sein und allzu weit weg von meinem jetzigen Standort ist es auch nicht. In einer Wohngegend gelegen, herrscht dort wunderbare Stille, bis auf das gelegentliche Schreien aus der nahen Grundschule. Ein Blick auf den Schulhof offenbarte eine große Gruppe kleiner Japaner, die aus Leibeskräften wohl einen Kinderreim rezitierten, von dem ich bis auf "Tora, Tora" ("Tiger, Tiger") jedoch nicht viel verstand. Meine Assoziation zum Japanischen Befehlscode, der den Angriff auf Pearl Harbor einleitete ("Tora, Tora, Tora") ist wahrscheinlich unbegründet. Sowieso war ich zu diesem Zeitpunkt so erfreut über mein schönes Zimmer mit Blick auf Kirschblütenbäume, daß die Kleinen wohl auch mit aufgepflanzten Bajonetten keinen echten Argwohn in mir ausgelöst hätten.

Ein viel merkwürdigeres Gefühl im Bauch hatte ich gestern Mittag. In mich hinein hatte ich nämlich für einen Heidenpreis mir größtenteils unbekannte Meeresbewohner gestopft, die nun eine mehr oder minder mulmige Sensation hinterließen. In aller Herrgottsfrühe bin ich an diesem Tage in Begleitung einiger Mitbewohner zum Fischmarkt nach Tsukiji aufgebrochen, um dort - nun - größtenteils im Weg zu stehen, da sich alle Menschen vor Ort mit Flipperautomatengeschwindigkeit in zielstrebiger Geschäftigkeit befanden, die in keiner Relation zum zur Verfügung stehenden Platz stand. Durch die etwas weniger winzigen Gassen zwischen den Verkaufsständen bretterten in Mad-Max-Manier seltsame motorisierte Lastenfahrzeuge, denen auszuweichen exaktes Timing verlangte.


Einst dem Gewusel entflohen machte ich mich auf die Suche nach einem Laden, der die so frisch verfügbaren Waren denn auch zubereite und wurde bald fündig. Vor einem der dampfenden Sushi-Ya reihte ich mich in die Schlange der Wartenden ein, um alsbald Schulter an Schulter eingepfercht vor einer winzigen Bar zu sitzen und Stück für Stück die mir noch unbekannten Leckereien auf meinen Teller legen zu lassen. Das nachfolgende Geschmackserlebnis schiebe ich teilweise auch auf die frühe Stunde, zu welcher ich normalerweise keinen rohen Fisch zu mir zu nehmen pflege, aber dennoch bleibt als Fazit: Sushi ist nicht mein Fall und ich werde nie wieder in einem weißen T-Shirt einen engen Fischmarkt besuchen.



Zum guten Schluss noch eine kurze Fahrt in der Bahn. Dort zu schlafen ist in Japan übrigens nicht unüblich.