Dienstag, 14. Dezember 2010

Syrien?!

Als ich vor ein paar Tagen aufgewacht bin, war das das erste, was mir einfiel - "Syrien?!". Ganz unpassend war dieser Gedanke nicht, denn Syrien war, worauf mein Bett stand, dessen Decke ich anstarrte, was ich ein- und ausatmete.
Die erste Nacht in einem neuen Land ist immer etwas verwirrend. Der Körper ist zwar schon seit vielen Stunden vor Ort, aber der Geist hängt irgendwie noch auf dem Wege dahin fest, ganz so als wäre man in einem Kino und würde nach dem fesselnden Film wieder seinem täglichen Leben nachgehen.


Vor allem, weil ich selbst mich recht spontan für die Reise entschieden hatte und nur als Begleitung meiner Schwester aufgebrochen war, hielt dieser Film-Effekt bei mir recht lange vor. Als Begleitung steht man halt nicht so sehr im Mittelpunkt und bestimmt auch nicht die Etappen und das Tagesprogramm, sondern fühlt sich oft in der Rolle des Beobachters. Mittlerweile bin ich natürlich mit Kopf und Körper mittendrin in Syrien, auch Dank der sehr herzlichen Gastgeber hier.

"Hier" ist genauer gesagt das christliche Viertel bei Bab Touma in Damaskus, der ältesten Stadt der Welt und Junge - das sieht man ihr stellenweise echt an! Die Altstadt ist beeindruckend mit ihren schmalen Gassen (durch die sich nichtsdestotrotz viele Autos zwängen) und alten Häusern, deren obere Stockwerke sich auf beiden Straßenseiten wie alte Freunde zueinander neigen (teilweise so stark, dass man sie mit schweren Eisenträgern als Streben davon abhält, zu kollabieren).


Damaskus ist eine der Städte, wo sich das Leben schönerweise zum großen Teil auf der Straße abspielt. Die großen Märkte, die Suqs, sind voll von Menschen, Lichtern und Gerüchen und die Leute treffen sich in Cafés und Flanierstraßen. Bis vorgestern war davon allerdings nichts zu spüren, da sich etwas zugetragen hatte, mit dem kein Damaszener gerechnet hatte: Es hat geschneit.

Die Durchschnittstemperatur in Damaskus liegt für Dezember bei knapp neun Grad Celsius und die Niederschlagswahrscheinlichkeit ohnehin gering (es gibt offizielle Regengebete, die aber meist nach dem Wetterbericht geplant werden, um nicht dumm dazustehen), daher war ich nicht schlecht überrascht, als am dritten Tag nach meiner Ankunft in Damaskus morgens dicke Flocken dicht vom Himmel rieselten. Das letzte Mal hat dieser Ort vor sechs Jahren Schnee erlebt und überall tobten Kinder in dem (für viele von ihnen unbekannten) Weiß.
Dummerweise hatte ich auch meine Reisegarderobe nicht danach ausgerichtet und musste die nächsten Tage mit durchweichten Halbschuhen leben. Viel mehr hatte es allerdings die Unterkunft mitgenommen, in welcher meine Schwester und ich nächtigten und dessen Dach die Schneelast nun tröpfchenweise passieren ließ. Zum Glück konnten wir kurzerhand direkt bei den Gastgebern einziehen und die nassen Tage dort ausharren.


Mit dem Schnee (und vorher schon dem Regen) sind kaum noch Leute vor die Türe gegangen. Der Verkehr, ohnehin (aus meiner Perspektive) schon chaotisch genug, war zu einer mörderischen Schlitterpartie verkommen und wurde verständlicherweise von den meisten Damaszenern gemieden. Wir sind natürlich trotzdem raus und zu Fuß durch die Stadt getourt, was vielleicht auch gar kein so schlechter Einstieg war, wenn auch etwas kalt. Zudem muss es sich ja auch mal lohnen, durch die eigene Heimat so schlechtwettergewohnt zu sein.

Trotzdem war ich dankbar, als die Temperatur wieder gestiegen und der Niederschlag vergangen ist - Damaskus lebt bei Sonnenschein.

Samstag, 26. Januar 2008

Blau

Seit nun drei Wochen gehe ich Samstags in einen Club, bin danach stets total blau und wache am nächsten Morgen mit einem entsetzlichen Kater auf. Zudem schreien sich die Leute dort an und an jedem dieser Abende bin ich schließlich in einen Kampf verwickelt worden - manchmal sogar mit Grundschülern.

...

Okay, der obige Absatz ist zwar wortwörtlich wahr, aber Misstrauen ist trotzdem angebracht, denn die schlimmsten Lügen sind ja bekanntlich Halbwahrheiten. Bei dem Club handelt es sich nicht etwa um einen schlimmen Yakuza-Schuppen für die ganze Familie, sondern um einen Kendô-Club. Blau bin ich, da das Indigo der Kendô-Kleidung auch nach sorgfältigem Auswaschen noch abfärbt und einen nach dem Training aussehen lässt, wie einen Schlumpf (In Japan wurde Indigo früher eine blutstillende Wirkung nachgesagt. Wenn das wahr ist, könnte ich mich nach dem Training wahrscheinlich mit einem Bratenspieß perforieren, ohne auch nur einen Tropfen zu verlieren). Als netten Nebeneffekt kann man zumindest später unter der Dusche lustig raten, welche blauen Flecken abwaschbar sind und welche nicht. Der Kater - um zur schlussendlichen Ganz-Wahrheit zu kommen - ist ein Muskelkater, der mich jedes Mal anfällt; leicht angenehmer zwar, als sein alkoholbedingter Cousin, aber trotzdem unleugbar böswillig.

Anstatt mein Geld Samstag abends woanders auf den Kopf zu hauen, lasse ich mir selbigen daher mit Bambusknüppeln traktieren, was zugegebenermaßen einer der Nachteile dieses Sports ist. Ein Vorzug ist, dass man selbst auch anderen auf den Kopf hauen darf. Zwar ist das anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, da man ja von kleinauf dazu erzogen wurde, so etwas gerade nicht zu tun - man gewöhnt sich allerdings schnell wieder daran, was vielleicht ein Indiz dafür ist, dass der Knüppel als erstes Werkzeug der Menschheit noch immer einen Ehrenplatz in den Tiefen unseres Verhaltens hält. Mit ein paar wohlmeinenden Schlägen auf die Trefferzonen der Kendô-Rüstung ist's jedoch im Training nicht getan und wenn man dazu noch Streichholzarme hat wie ich, werden diese nach einiger Zeit entsetzlich lahm, was einem in aller Regel auch das selber Schlagen irgendwann gründlich verleidet. Der eine Grund, warum man dann überhaupt zum Kendô geht, mag sein, dass es ein wunderbar entspannender Kontrast zur heutigen Gesellschaft mit ihren hochkomplexen Umgangsformen ist, in denen wildes Geschrei und Bambusknüppel ihren Platz seit einigen tausend Jahren verloren haben. Natürlich will man auch beim Kendô die Dinge nicht ganz aus der Hand geben und verlässt sich dafür auf ein streng geregeltes Zeremoniell, das dem Schreien und gegenseitigen sich-auf-den-Kopf-Hauen ein wenig zivilisatorischen Anstrich verleiht.

Nein mal ehrlich, es gibt auf der Welt kaum einen Ort, wo so viel Höflichkeit an den Tag gelegt wird, wie in einem Japanischen Dôjô - man tauscht fast mehr Höflichkeiten aus, als Schläge. Zudem möchte ich auch nicht suggerieren, daß man beim Kendô blind aufeinander eindrischt - man ficht. Im Gegensatz zur Europäischen Variante des Fechtens wird halt weniger gepiekst und mehr geschlagen.

Als Ausgleich zum brachialen Charakter dieses Eintrags nun noch ein Bild vom ersten Schnee, der mir neulich einen weißen, ruhigen Morgen beschert hat.

Mittwoch, 26. Dezember 2007

Weihnacht unter roter Sonne

Vorgestern bin ich dann aufgebrochen, für zwei langsame Tage die heißen Quellen bei Hakone zu genießen, als Weihnachtsausflug sozusagen.

Die Bahn ab Shinjuku war brechend voll mit von dem hellen Wintertag heiteren Menschen und so bin ich stehend gen Westen gedüst, bis sich nach einer halben Stunde Fahrt schließlich ein Sitzplatz ergattern ließ. Eine weitere halbe Stunde später ging der Tag zur Neige und wie darauf abgepasst stiegen am letzten wichtigen Bahnhof alle Fahrgäste aus - außer mir blieb nur noch eine schlafende Frau im großen Waggon zurück. Beim nächsten Halt verließ mit dem letzten Abendrot auch die Frau den nun stillen Zug und die Nacht brach herein, den plötzlichen Wandel von der dichtgedrängten, fröhlich schnatternden Menge zur schweigenden Leere noch unterstreichend. Alsbald kam der Vollmond zum Vorschein, der hier und dort aus der Schwärze blass und klar in den neonbeleuchteten Waggon lugte, was der Szenerie nun wirklich etwas surreales verlieh; ein abstrahiertes Gefühl des Alleinseins.



Dieses Gefühl verflüchtigte sich allerdings nach meiner Ankunft in Hakone-Yumoto, welches ganz im Gegensatz zum Zug voll von geschäftigen Leuten war, die nach bereits genossenem Ferientag sich nun größtenteils auf dem Weg zum nächsten Restaurant, oder wie ich, auf der Suche nach ihrem Hotel befanden. Dort angekommen, wurde ich durch das erste Bad im Onsen, der heissen Quelle meines Hotels, für den Hinweg voll entschädigt. Entspannung ist - wie der Name schon sagt - nicht sehr spannend, daher versuche ich an dieser Stelle auch gar nicht weiter, darüber zu schreiben.

Die Steine sagen:
Bitte fallen Sie nicht!

Den nächsten Morgen stand ich noch vor dem Sonnenaufgang auf und bin auf den nächsten Hügel geklettert, um endlich mal den Fujisan mit eigenen Augen zu sehen. Wie es sich herausstellte, war der Hügel ein mit dichtem Wald getarnter Berg und als ich nach circa zwei Stunden den vermeintlichen Gipfel erreicht hatte, war wiederum in jeder Richtung nur Wald zu sehen. Okay, man mag jetzt einwenden, daß dieser "Berg" nicht allzu hoch gewesen sein kann, wenn selbst auf dem Gipfel noch dichter Wald vorherrscht, daher war es vielleicht doch eher ein Hügel. Jedoch kann ich zu meiner Ehrenrettung anführen, daß die Hügel jener Gegend nicht sanft ansteigen, sondern gleich Ernst machen und aus dem Boden schießen wie Steilwände. Wie in einer Manga-Abbildung ragen sie ganz plötzlich aus dem flachen Boden. Ich fragte mich, ob die Hügel mit ihrer Form die Darstellung im Manga beeinflusst, oder andersherum die Mangas ihren weitreichenden kulturellen Einfluss gar auf die Landschaft ausgeweitet hatten - wer kennt schon den wahren Grund für die vielen erdverschiebenden Beben hier?

Die Wurzeln sagen:
Sie werden fallen!

Nun, daß einem solcherlei Gedanken früh am Morgen allein auf einem Hügel kommen, mag darauf hinweisen, daß der Aufstieg sehr anstrengend gewesen sein muss. Trotz meiner anscheinend schwindenden Aufgewecktheit ließen mich die spitzen Steine und die knorrigen Wurzeln, denen ich meine ganze Vorsicht widmete, zum Glück in Ruhe, zudem ich beim Aufstieg keiner Menschenseele begegnet war, was einen unglücklichen Fehltritt eventuell mehr als nur ärgerlich hätte werden lassen. Beim Abstieg jedoch überraschte mich eine weitere Attraktion des Hügels - eine bis dahin unscheinbare, aber glitschige Stelle, auf welcher mich auch prompt meine Füße überholten.

Den einzigen Menschen bekam ich auf dieser Wanderung zu Gesicht, als ich schon wieder fast am Fuße des Hügels angekommen war. Ein burschikos wirkendes Mädel, das mich mit seinen Wanderstrümpfen, Zöpfen und roten Rucksack frappierend an Heidi erinnerte. Ich weiß, daß Heidi weder Wanderstrümpfe, Zöpfe, noch einen roten Rucksack hat, aber hätte sie diese Dinge, so wäre jenes Mädchen ihr Ebenbild. Sie blieb stehen und grüßte mich brav, was mir etwas zu denken gab. Tatsächlich grüßt man sich fünfhundert Meter weiter im Dorfe anscheinend nicht; das muss heißen, daß wenn man zu den wenigen komischen Leuten gehört, die auf Hügel fragwürdiger Form klettern, dies irgendwie verbindet.

Schon letztens musste ich unwillkürlich lächeln, als mir ein junger Ausländer am Bahnhof empathisch zunickte. Der Mann war schwarz und daheim hätte ich ihn nicht automatisch als mir verbunden wahrgenommen, oder andersherum - befände ich mich in der Heimat jenes Mannes, so hätte er wahrscheinlich nicht gegrüßt. Auch wenn wir beide uns gegenseitig mindestens genauso fremd sein mögen, wie den Japanern gegenüber, ist wohl das, was uns hauptsächlich verbindet, unsere hiesige Zugehörigkeit zur Kategorie "Ausländer", durch die wir beide mit den gleichen Problemen und Vorbehalten konfrontiert werden. Fremd plus Fremd gleich Freund.

Als Weihnachtsgruß noch einmal Nippon pur: Der Fujisan, wie ich ihn heute endlich sehen konnte. Frohe Weihnachten alle miteinander! :-)

Montag, 8. Oktober 2007

Sunshine 60


Dieser Name, den man eher auf einer Tube Sonnencreme vermuten würde, schmückt das höchste Gebäude im Stadtteil Ikebukuro, zu dem ich mich dieser Tage in den frühen Nachmittagsstunden aufgemacht hatte. Meine Umgebung hatte ich zwar tagtäglich schon erforscht, aber die Perspektive aus 250 Metern Höhe versprach doch eine andere Art von Überblick, als man sie durch das Ansammeln von Eindrücken aus Bodennähe bekommt.

Als sozusagen auf dem Dorfe aufgewachsener Junge bin ich es instinktiv gewohnt, nach dem Einschlagen jedweder Richtung in urbaner Umgebung, irgendwann auf die Stadtgrenze zu treffen. Auch die sechs Jahre Köln haben dies nicht geändert, da ich einerseits gut zu Fuß bin und andererseits Köln auch nicht wirklich riesig ist, zudem man sich dort stets relativ zu einem genau definierten Zentrum bewegt - dem Dom. Daß am hiesigen Ort diese Grenzen weit ausserhalb meines täglichen Radius liegen und zu viele Zentren existieren, um dem Ausdruck noch gerecht zu werden, fällt kaum auf, wenn man die Umgebung nur häppchenweise wahrnimmt, wie das nunmal geschieht, wenn man zu Fuß unterwegs ist. Die 250 Meter waren ein Schock!


Der Ausdruck "Häusermeer" mag passen, aber nur, wenn man sich schon mal auf hoher See befunden hat. Falls Besucher des Sunshine 60 durch die sich schier bis zum Horizont erstreckende Gebäudemasse noch nicht genug haben, können sie an speziellen Aussichtsfenstern bis ganz an den Gebäuderand herantreten und den Kitzel der großen Tiefe erleben, die sich ein paar Zentimeter vor den eigenen Zehen auftut. Als ausgesprochener Bodenfreund konnte ich natürlich nicht umher, den ganz besonderen Effekt auszukosten, den so etwas auf mich hat, wobei mir zwar nicht schwindelig wird, ich aber immer anfange, etwas angestrengt zu grinsen.

Mein kleines Zimmer, welches ich hier bewohne, liegt hingegen nur im dritten Stockwerk, jedoch ist mir anderntags tatsächlich wackelig geworden. Schnell kam ich allerdings darauf, daß es keineswegs mit meiner Konstitution bergab ging, sondern einfach wirklich alles am wackeln war. So schnell wie es begonnen hatte, war es auch schon wieder vorbei und mein erdbebengewöhnter (da Japanischer) Nachbar sagte gar, er habe nichts gespürt und fragte sicherheitshalber erstmal, ob ich vielleicht getrunken hätte. Dank der Japanischen Erdbeben-Wetternachrichten ließ sich allerdings schnell klären, daß es sich bei dem, was ich gespürt hatte, tatsächlich um die Bewegungen des riesigen unterirdischen Katzenfisches handelte (zumindest der historischen Erklärung nach).


So ein Terrorviech.

Sonntag, 23. September 2007

Grün?

Seltsam, wie wenig international so etwas einfaches wie eine Farbe sein kann. Grüne Lichter hinter den Windschutzscheiben der Taxen zeigen hier "besetzt" an, rot leuchten die freien. Grün ist ins Japanische sowieso auf mehrere Arten zu übersetzen: "Midori" heisst das Apfelgrün, aber die Ampeln werden "aoi" - obwohl dieses ebenfalls "blau" bedeuten kann. Daß nicht alles Grün gleich Grün ist in Japan, wusste ich bereits vor meiner Ankunft hier; dennoch erstaunt mich die enorme Fähigkeit der Japaner, Grün auch dort zu sehen, wo gar keines ist. Das folgende Foto zeigt recht anschaulich den "midori kouen", übersetzt: Der grüne Park. Es handelt sich nicht um einen japanischen Steingarten.



Auch den vielgelobten Ueno-Park im Herzen Tokyos nimmt man erst war, wenn man entweder japanische Schilder lesen kann, oder die allgemeine Grünlosigkeit Tokyos soweit auf einen abgefärbt hat, daß man jeden Strauch für einen Dschungel nimmt. Andernfalls wähnt man sich vielleicht eher in einer ausgebauten Allee mit Seitenstreifen, als in einem Park.

Als krasser Gegensatz dazu präsentiert sich die lokale Fauna, die jeden Busch vibrieren lässt und mich ein ums andere mal sprachlos dastehen ließ.
Da wäre der wunderschöne, handgroße Falter, der sich im Zickzackflug an den spärlichen Blumenkästen inmitten der Großstadt labt, der Rabe, welcher durch die engen Häuserfluchten taucht, oder das abendliche Himmel-Gewimmel von Fledermäusen. Alle Bäume, auch wenn sie einzeln dastehen, sind voll von brüllenden Zikaden, so daß tatsächlich an einigen Orten der Eindruck eines tiefen Waldes entstehen kann, wenn man nur nicht nach links oder rechts blickt. Das nachfolgende, downtown vor einem großen Bankgebäude gesichtete, gut daumengroße UFO konnte im Nachhinein als Taubenschwänzchen-Falter identifiziert werden.



Derweil habe ich mich an meinem neuen Wohnort gut eingelebt. Die Kinder der nahen Grundschule sind doch eine recht angenehme Geräuschkulisse, im Vergleich dazu, was Tokyo in dieser Hinsicht sonst noch zu bieten hat; selbst die Übungsstunden der Posaunengruppe haben einen gewissen Wohlklang. Das bunte Treiben auf dem Schulhof kann ich zudem bequem vom Balkon aus verfolgen. Bunt ist es per se, da die Kinder durch rote, gelbe und blaue (aoi?) Bemützung getrennt, stets als drei verschiedene Gruppen allerlei Spiele mit- und gegeneinander unternehmen.



Als Betthupferl noch ein Bild von der neondunklen Seite Tokyos, inklusive des obligatorischen schwarzen Yakuza-Schlittens vor dem Nudelrestaurant.

Mittwoch, 12. September 2007

Sturm und Drang in Tokyo

Fitow hat sich als recht lichtscheuer Geselle entpuppt und ist erst in der Nacht durch Tokyo gestürmt, wodurch ich ganz elegant den wütenden Taifun verschlafen konnte. Der Betonbunkerbauweise meiner Herberge geht zwar jegliche Ästhetik ab, dafür halten einen jedoch auch Windstärken im zweistelligen Bereich nicht vom Schlaf ab - das geschieht anders. Auch gestern litt ich wieder an Schlafstörungen - in Form dreier Briten, die in einer Spätvorstellung eine interessante Mischung aus Hustenanfällen und Grunzlauten zum Besten gaben. Daß die Hochbetten jegliche Bewegung von der einen Person auch für die andere spürbar machen, verbesserte die Situation keineswegs. Ich versuchte einfach, an Erdbeben zu denken, mich in japanischer Höflichkeit zu üben und in stiller, ehrlicher Freude über meine neue Mietwohnung einzuschlafen.

Ja! Am 15. September ziehe ich in ein schickes kleines Zimmer in einem Appartement-Haus nahe Tokyo. Oder in Tokyo - da es sich hier sowieso um ununterbrochene Städtelandschaft handelt, kann jegliche Genzziehung bloß administrativ motiviert sein und allzu weit weg von meinem jetzigen Standort ist es auch nicht. In einer Wohngegend gelegen, herrscht dort wunderbare Stille, bis auf das gelegentliche Schreien aus der nahen Grundschule. Ein Blick auf den Schulhof offenbarte eine große Gruppe kleiner Japaner, die aus Leibeskräften wohl einen Kinderreim rezitierten, von dem ich bis auf "Tora, Tora" ("Tiger, Tiger") jedoch nicht viel verstand. Meine Assoziation zum Japanischen Befehlscode, der den Angriff auf Pearl Harbor einleitete ("Tora, Tora, Tora") ist wahrscheinlich unbegründet. Sowieso war ich zu diesem Zeitpunkt so erfreut über mein schönes Zimmer mit Blick auf Kirschblütenbäume, daß die Kleinen wohl auch mit aufgepflanzten Bajonetten keinen echten Argwohn in mir ausgelöst hätten.

Ein viel merkwürdigeres Gefühl im Bauch hatte ich gestern Mittag. In mich hinein hatte ich nämlich für einen Heidenpreis mir größtenteils unbekannte Meeresbewohner gestopft, die nun eine mehr oder minder mulmige Sensation hinterließen. In aller Herrgottsfrühe bin ich an diesem Tage in Begleitung einiger Mitbewohner zum Fischmarkt nach Tsukiji aufgebrochen, um dort - nun - größtenteils im Weg zu stehen, da sich alle Menschen vor Ort mit Flipperautomatengeschwindigkeit in zielstrebiger Geschäftigkeit befanden, die in keiner Relation zum zur Verfügung stehenden Platz stand. Durch die etwas weniger winzigen Gassen zwischen den Verkaufsständen bretterten in Mad-Max-Manier seltsame motorisierte Lastenfahrzeuge, denen auszuweichen exaktes Timing verlangte.


Einst dem Gewusel entflohen machte ich mich auf die Suche nach einem Laden, der die so frisch verfügbaren Waren denn auch zubereite und wurde bald fündig. Vor einem der dampfenden Sushi-Ya reihte ich mich in die Schlange der Wartenden ein, um alsbald Schulter an Schulter eingepfercht vor einer winzigen Bar zu sitzen und Stück für Stück die mir noch unbekannten Leckereien auf meinen Teller legen zu lassen. Das nachfolgende Geschmackserlebnis schiebe ich teilweise auch auf die frühe Stunde, zu welcher ich normalerweise keinen rohen Fisch zu mir zu nehmen pflege, aber dennoch bleibt als Fazit: Sushi ist nicht mein Fall und ich werde nie wieder in einem weißen T-Shirt einen engen Fischmarkt besuchen.



Zum guten Schluss noch eine kurze Fahrt in der Bahn. Dort zu schlafen ist in Japan übrigens nicht unüblich.



Mittwoch, 5. September 2007

You are here

Der beste Hinweis, den man sich in meiner Situation wünschen kann. You are here. Es hilft nicht nur dabei, langsam zu begreifen, daß man sich tatsächlich hier am anderen Ende der Welt befindet, sondern kommt zudem sehr gelegen dabei, herauszufinden, an welcher Stelle des Endes das genau ist. Sich in Tokyo zu verlaufen ist, wie ich erkannt habe, schwierig bis unmöglich. An jeder größeren Kreuzung hängen Pläne, die die Umgebung abbilden und zweifelsfrei feststellen, wo man sich in ihr befindet. Falls man doch einmal den größeren Zusammenhang aus den Augen verloren haben sollte, blickt man einfach auf und schaut mit großer Wahrscheinlichkeit ins Antlitz eines hilfsbereiten Polizisten, welcher den verirrten Touristen mit geübtem Auge schon vor Minuten erfasst hat. Manchmal allerdings muss man tatsächlich noch nach rechts oder links schauen, aber dann sieht man auf jeden Fall einen.

Dem geübten Beobachter mag aufgefallen sein, daß mein zweiter Weblog-Eintrag eine bedeutende Qualität hinzugewonnen hat - genau, Bilder! Heute habe ich nämlich eine große Shopping-Tour in Angriff genommen und im Elektronikbonanza Akihabara eine brandneue Canon Digitalkamera erstanden. Daß es sich um eine Neuheit handelt, habe ich allerdings erst später im Internet herausgefunden, denn ich bin jeglichem Verkaufsgespräch entgangen, indem ich einfach auf die billigste Kamera gezeigt habe und "die da" gesagt habe (oder eher: "それが買いたいんです!", um mal anzugeben). Langer Rede kurzer Sinn: Jetzt wird's bunt!

Etwas, das mich als Einwohner der oft als "Servicewüste" betitelten BRD in den letzten Tagen immer wieder in Erstaunen versetzt hat, ist die Höflichkeit der Japaner. Klar, wird man jetzt vielleicht denken, Japaner sind als superhöflich bekannt, aber die Ausdauer dieser Höflichkeit ist... wahnsinnig. Was würde man in Deutschland denken, wenn sich die Arbeiter einer Baustelle plötzlich für die verursachte Behinderung entschuldigten?! Oder die Supermarktkassiererin einen tatsächlich früge, ob sie die 70g-Billigschokoladentafel für einen in Geschenkpapier wickeln soll? Wunder über Wunder. Was macht wohl eine solche Angestellte, wenn sie selbst mal einkaufen geht und als Kundin angebetet wird? Japaner müssen allesamt gespaltene Persönlichkeiten haben.

Mit Spannung erwarte ich nun den nächsten Tag, da dieser, wie ich erfahren habe, den Ankunftszeitpunkt von Fitow markiert. Es handelt sich dabei nicht um einen russischen Politiker, oder dergleichen, sondern um einen Taifun - meinen ersten! Sollte sich dies allerdings als Regenschauer mit schwacher Brise entpuppen (die Wetterleute sind sich da noch nicht ganz einig), bleibt mir immer noch ein Ausflug zur anderen Seite von Tokyo, um im Hauptsitz der Japan Association of Working Holiday Makers einen Blick auf die dortige Jobbörse zu werfen.

Zum guten Abschluss noch ein kleiner Eindruck aus der nahen Tempelanlage: Im Hintergrund die fünfstöckige Pagode mit Bannstrahl-Ableiter, im Vordergrund das typische Ninja-darüberhusch-Dach.