Sonntag, 23. September 2007

Grün?

Seltsam, wie wenig international so etwas einfaches wie eine Farbe sein kann. Grüne Lichter hinter den Windschutzscheiben der Taxen zeigen hier "besetzt" an, rot leuchten die freien. Grün ist ins Japanische sowieso auf mehrere Arten zu übersetzen: "Midori" heisst das Apfelgrün, aber die Ampeln werden "aoi" - obwohl dieses ebenfalls "blau" bedeuten kann. Daß nicht alles Grün gleich Grün ist in Japan, wusste ich bereits vor meiner Ankunft hier; dennoch erstaunt mich die enorme Fähigkeit der Japaner, Grün auch dort zu sehen, wo gar keines ist. Das folgende Foto zeigt recht anschaulich den "midori kouen", übersetzt: Der grüne Park. Es handelt sich nicht um einen japanischen Steingarten.



Auch den vielgelobten Ueno-Park im Herzen Tokyos nimmt man erst war, wenn man entweder japanische Schilder lesen kann, oder die allgemeine Grünlosigkeit Tokyos soweit auf einen abgefärbt hat, daß man jeden Strauch für einen Dschungel nimmt. Andernfalls wähnt man sich vielleicht eher in einer ausgebauten Allee mit Seitenstreifen, als in einem Park.

Als krasser Gegensatz dazu präsentiert sich die lokale Fauna, die jeden Busch vibrieren lässt und mich ein ums andere mal sprachlos dastehen ließ.
Da wäre der wunderschöne, handgroße Falter, der sich im Zickzackflug an den spärlichen Blumenkästen inmitten der Großstadt labt, der Rabe, welcher durch die engen Häuserfluchten taucht, oder das abendliche Himmel-Gewimmel von Fledermäusen. Alle Bäume, auch wenn sie einzeln dastehen, sind voll von brüllenden Zikaden, so daß tatsächlich an einigen Orten der Eindruck eines tiefen Waldes entstehen kann, wenn man nur nicht nach links oder rechts blickt. Das nachfolgende, downtown vor einem großen Bankgebäude gesichtete, gut daumengroße UFO konnte im Nachhinein als Taubenschwänzchen-Falter identifiziert werden.



Derweil habe ich mich an meinem neuen Wohnort gut eingelebt. Die Kinder der nahen Grundschule sind doch eine recht angenehme Geräuschkulisse, im Vergleich dazu, was Tokyo in dieser Hinsicht sonst noch zu bieten hat; selbst die Übungsstunden der Posaunengruppe haben einen gewissen Wohlklang. Das bunte Treiben auf dem Schulhof kann ich zudem bequem vom Balkon aus verfolgen. Bunt ist es per se, da die Kinder durch rote, gelbe und blaue (aoi?) Bemützung getrennt, stets als drei verschiedene Gruppen allerlei Spiele mit- und gegeneinander unternehmen.



Als Betthupferl noch ein Bild von der neondunklen Seite Tokyos, inklusive des obligatorischen schwarzen Yakuza-Schlittens vor dem Nudelrestaurant.

Mittwoch, 12. September 2007

Sturm und Drang in Tokyo

Fitow hat sich als recht lichtscheuer Geselle entpuppt und ist erst in der Nacht durch Tokyo gestürmt, wodurch ich ganz elegant den wütenden Taifun verschlafen konnte. Der Betonbunkerbauweise meiner Herberge geht zwar jegliche Ästhetik ab, dafür halten einen jedoch auch Windstärken im zweistelligen Bereich nicht vom Schlaf ab - das geschieht anders. Auch gestern litt ich wieder an Schlafstörungen - in Form dreier Briten, die in einer Spätvorstellung eine interessante Mischung aus Hustenanfällen und Grunzlauten zum Besten gaben. Daß die Hochbetten jegliche Bewegung von der einen Person auch für die andere spürbar machen, verbesserte die Situation keineswegs. Ich versuchte einfach, an Erdbeben zu denken, mich in japanischer Höflichkeit zu üben und in stiller, ehrlicher Freude über meine neue Mietwohnung einzuschlafen.

Ja! Am 15. September ziehe ich in ein schickes kleines Zimmer in einem Appartement-Haus nahe Tokyo. Oder in Tokyo - da es sich hier sowieso um ununterbrochene Städtelandschaft handelt, kann jegliche Genzziehung bloß administrativ motiviert sein und allzu weit weg von meinem jetzigen Standort ist es auch nicht. In einer Wohngegend gelegen, herrscht dort wunderbare Stille, bis auf das gelegentliche Schreien aus der nahen Grundschule. Ein Blick auf den Schulhof offenbarte eine große Gruppe kleiner Japaner, die aus Leibeskräften wohl einen Kinderreim rezitierten, von dem ich bis auf "Tora, Tora" ("Tiger, Tiger") jedoch nicht viel verstand. Meine Assoziation zum Japanischen Befehlscode, der den Angriff auf Pearl Harbor einleitete ("Tora, Tora, Tora") ist wahrscheinlich unbegründet. Sowieso war ich zu diesem Zeitpunkt so erfreut über mein schönes Zimmer mit Blick auf Kirschblütenbäume, daß die Kleinen wohl auch mit aufgepflanzten Bajonetten keinen echten Argwohn in mir ausgelöst hätten.

Ein viel merkwürdigeres Gefühl im Bauch hatte ich gestern Mittag. In mich hinein hatte ich nämlich für einen Heidenpreis mir größtenteils unbekannte Meeresbewohner gestopft, die nun eine mehr oder minder mulmige Sensation hinterließen. In aller Herrgottsfrühe bin ich an diesem Tage in Begleitung einiger Mitbewohner zum Fischmarkt nach Tsukiji aufgebrochen, um dort - nun - größtenteils im Weg zu stehen, da sich alle Menschen vor Ort mit Flipperautomatengeschwindigkeit in zielstrebiger Geschäftigkeit befanden, die in keiner Relation zum zur Verfügung stehenden Platz stand. Durch die etwas weniger winzigen Gassen zwischen den Verkaufsständen bretterten in Mad-Max-Manier seltsame motorisierte Lastenfahrzeuge, denen auszuweichen exaktes Timing verlangte.


Einst dem Gewusel entflohen machte ich mich auf die Suche nach einem Laden, der die so frisch verfügbaren Waren denn auch zubereite und wurde bald fündig. Vor einem der dampfenden Sushi-Ya reihte ich mich in die Schlange der Wartenden ein, um alsbald Schulter an Schulter eingepfercht vor einer winzigen Bar zu sitzen und Stück für Stück die mir noch unbekannten Leckereien auf meinen Teller legen zu lassen. Das nachfolgende Geschmackserlebnis schiebe ich teilweise auch auf die frühe Stunde, zu welcher ich normalerweise keinen rohen Fisch zu mir zu nehmen pflege, aber dennoch bleibt als Fazit: Sushi ist nicht mein Fall und ich werde nie wieder in einem weißen T-Shirt einen engen Fischmarkt besuchen.



Zum guten Schluss noch eine kurze Fahrt in der Bahn. Dort zu schlafen ist in Japan übrigens nicht unüblich.



Mittwoch, 5. September 2007

You are here

Der beste Hinweis, den man sich in meiner Situation wünschen kann. You are here. Es hilft nicht nur dabei, langsam zu begreifen, daß man sich tatsächlich hier am anderen Ende der Welt befindet, sondern kommt zudem sehr gelegen dabei, herauszufinden, an welcher Stelle des Endes das genau ist. Sich in Tokyo zu verlaufen ist, wie ich erkannt habe, schwierig bis unmöglich. An jeder größeren Kreuzung hängen Pläne, die die Umgebung abbilden und zweifelsfrei feststellen, wo man sich in ihr befindet. Falls man doch einmal den größeren Zusammenhang aus den Augen verloren haben sollte, blickt man einfach auf und schaut mit großer Wahrscheinlichkeit ins Antlitz eines hilfsbereiten Polizisten, welcher den verirrten Touristen mit geübtem Auge schon vor Minuten erfasst hat. Manchmal allerdings muss man tatsächlich noch nach rechts oder links schauen, aber dann sieht man auf jeden Fall einen.

Dem geübten Beobachter mag aufgefallen sein, daß mein zweiter Weblog-Eintrag eine bedeutende Qualität hinzugewonnen hat - genau, Bilder! Heute habe ich nämlich eine große Shopping-Tour in Angriff genommen und im Elektronikbonanza Akihabara eine brandneue Canon Digitalkamera erstanden. Daß es sich um eine Neuheit handelt, habe ich allerdings erst später im Internet herausgefunden, denn ich bin jeglichem Verkaufsgespräch entgangen, indem ich einfach auf die billigste Kamera gezeigt habe und "die da" gesagt habe (oder eher: "それが買いたいんです!", um mal anzugeben). Langer Rede kurzer Sinn: Jetzt wird's bunt!

Etwas, das mich als Einwohner der oft als "Servicewüste" betitelten BRD in den letzten Tagen immer wieder in Erstaunen versetzt hat, ist die Höflichkeit der Japaner. Klar, wird man jetzt vielleicht denken, Japaner sind als superhöflich bekannt, aber die Ausdauer dieser Höflichkeit ist... wahnsinnig. Was würde man in Deutschland denken, wenn sich die Arbeiter einer Baustelle plötzlich für die verursachte Behinderung entschuldigten?! Oder die Supermarktkassiererin einen tatsächlich früge, ob sie die 70g-Billigschokoladentafel für einen in Geschenkpapier wickeln soll? Wunder über Wunder. Was macht wohl eine solche Angestellte, wenn sie selbst mal einkaufen geht und als Kundin angebetet wird? Japaner müssen allesamt gespaltene Persönlichkeiten haben.

Mit Spannung erwarte ich nun den nächsten Tag, da dieser, wie ich erfahren habe, den Ankunftszeitpunkt von Fitow markiert. Es handelt sich dabei nicht um einen russischen Politiker, oder dergleichen, sondern um einen Taifun - meinen ersten! Sollte sich dies allerdings als Regenschauer mit schwacher Brise entpuppen (die Wetterleute sind sich da noch nicht ganz einig), bleibt mir immer noch ein Ausflug zur anderen Seite von Tokyo, um im Hauptsitz der Japan Association of Working Holiday Makers einen Blick auf die dortige Jobbörse zu werfen.

Zum guten Abschluss noch ein kleiner Eindruck aus der nahen Tempelanlage: Im Hintergrund die fünfstöckige Pagode mit Bannstrahl-Ableiter, im Vordergrund das typische Ninja-darüberhusch-Dach.

Montag, 3. September 2007

Hinein ins Chaos

Liebes Weblog,

jetzt ist es passiert - ich befinde mich in einer kleinen Herberge am Rand des Universums und versuche zu ergründen, warum. Sich als heimatliebender, flugängstlicher, kühles Wetter und großzügige Platzverhältnisse vorziehender Mensch ausgerechnet in einen Flieger nach Tokyo zu setzen, widerspricht klar jedem rationalen Grundsatz, aber trotzdem bin ich hier.

Zu Beginn meiner Reise hatte ich demnach auch kein allzu gutes Gefühl im Bauch, welches sich mit zunehmender Müdigkeit noch weiter steigerte und schließlich richtig arg wurde, als das Flugzeug von Paris nach Narita auf der Startbahn Vollgas gab. Auch Flugzeuge scheinen jedoch einen rudimentären Sinn für den richtigen Zeitpunkt zu haben, da meines nun spontan einen technischen Defekt vorwies, der den Piloten dazu veranlasste, den Start mittels eines wenig zögerlichen Bremsmanövers wieder abzubrechen.

Einige Zeit darauf befand ich mich dann merkwürdig glücklich in einer Riesenschlange. Dieses Exemplar der Spezies "Airfrancus maximus" lockt seine Opfer mit Hotelübernachtungsgutscheinen in die Falle und tötet sie dann unbarmherzig, indem es sie sich ihre Beine in den Bauch stehen lässt. Vor der finalen Entkräftung konnte ich glücklicherweise noch eines meiner Mitbringsel aufreissen und durch die Energie aus 5 gebrannten Mandeln dem Tode entrinnen, wobei ich den restlichen 20 Mandeln durch ein motorisches Mißgeschick unfreiwillig die große Freiheit des Flughafengebäudes schenkte. Nun, um mich zu ärgern war ich da schon viel zu müde. Es war sogar kaum mehr peinlich!

Später im Hotel, nach einer Mahlzeit, einem Bad und netten Gesprächen per Skype, ging es mir dann tatsächlich viel besser und richtig gut wurde es, als ich auf dem Bett lag und innerhalb von 0.389 Sekunden einschlief.

Das gute Gefühl hielt sich auch noch am nächsten Tag und auch der Flug nach Narita war plötzlich ein sehr schönes Geschehnis, auf welches ich mich nun doch freute. Zwölf Stunden und 10000 km später sahen Japanische Einreisebeamte ein entfernt godzillaähnliches Wesen aus einem vom Himmel geschwebten Metallkörper auf sich zuwanken und nur der japanischen Höflichkeit ist es wahrscheinlich zu danken, daß sie mich passieren ließen.

In der Bahn nach Asakusa musste ich mich dann erstmal versichern, daß es sich wirklich um diese handelte und habe - alle Warnungen über die Gaijinscheuheit der Japaner in den Wind schiessend - einfach den neben mir sitzenden Mann angequatscht, ob er wisse, ob diese Bahn in Asakusa halte. Heute Abend bin ich nun schon klüger und darf mich schelten, wohl einer auf Japaner abzielenden Rufmordkampagne aufgesessen zu sein; alle Japaner, mit denen ich bis jetzt Kontakt hatte, waren nicht scheu, sondern extrem hilfsbereit. Einer sprach mich sogar an, als ich mit einem wohl nicht sehr wissenden Gesicht in Asakusa nach der Sakura-Herberge suchend durch die Straßen wandelte und führte mich, stets sich bei weiteren Personen nach dem Weg erkundend, bis zum Ziel.
Dies alles und mein abendlicher Spaziergang durch einige der sich windenden Gassen und großen Straßen gab mir zwar keine Antwort, warum ich denn hier hergekommen bin - aber die Frage verblasst.