Mittwoch, 26. Dezember 2007

Weihnacht unter roter Sonne

Vorgestern bin ich dann aufgebrochen, für zwei langsame Tage die heißen Quellen bei Hakone zu genießen, als Weihnachtsausflug sozusagen.

Die Bahn ab Shinjuku war brechend voll mit von dem hellen Wintertag heiteren Menschen und so bin ich stehend gen Westen gedüst, bis sich nach einer halben Stunde Fahrt schließlich ein Sitzplatz ergattern ließ. Eine weitere halbe Stunde später ging der Tag zur Neige und wie darauf abgepasst stiegen am letzten wichtigen Bahnhof alle Fahrgäste aus - außer mir blieb nur noch eine schlafende Frau im großen Waggon zurück. Beim nächsten Halt verließ mit dem letzten Abendrot auch die Frau den nun stillen Zug und die Nacht brach herein, den plötzlichen Wandel von der dichtgedrängten, fröhlich schnatternden Menge zur schweigenden Leere noch unterstreichend. Alsbald kam der Vollmond zum Vorschein, der hier und dort aus der Schwärze blass und klar in den neonbeleuchteten Waggon lugte, was der Szenerie nun wirklich etwas surreales verlieh; ein abstrahiertes Gefühl des Alleinseins.



Dieses Gefühl verflüchtigte sich allerdings nach meiner Ankunft in Hakone-Yumoto, welches ganz im Gegensatz zum Zug voll von geschäftigen Leuten war, die nach bereits genossenem Ferientag sich nun größtenteils auf dem Weg zum nächsten Restaurant, oder wie ich, auf der Suche nach ihrem Hotel befanden. Dort angekommen, wurde ich durch das erste Bad im Onsen, der heissen Quelle meines Hotels, für den Hinweg voll entschädigt. Entspannung ist - wie der Name schon sagt - nicht sehr spannend, daher versuche ich an dieser Stelle auch gar nicht weiter, darüber zu schreiben.

Die Steine sagen:
Bitte fallen Sie nicht!

Den nächsten Morgen stand ich noch vor dem Sonnenaufgang auf und bin auf den nächsten Hügel geklettert, um endlich mal den Fujisan mit eigenen Augen zu sehen. Wie es sich herausstellte, war der Hügel ein mit dichtem Wald getarnter Berg und als ich nach circa zwei Stunden den vermeintlichen Gipfel erreicht hatte, war wiederum in jeder Richtung nur Wald zu sehen. Okay, man mag jetzt einwenden, daß dieser "Berg" nicht allzu hoch gewesen sein kann, wenn selbst auf dem Gipfel noch dichter Wald vorherrscht, daher war es vielleicht doch eher ein Hügel. Jedoch kann ich zu meiner Ehrenrettung anführen, daß die Hügel jener Gegend nicht sanft ansteigen, sondern gleich Ernst machen und aus dem Boden schießen wie Steilwände. Wie in einer Manga-Abbildung ragen sie ganz plötzlich aus dem flachen Boden. Ich fragte mich, ob die Hügel mit ihrer Form die Darstellung im Manga beeinflusst, oder andersherum die Mangas ihren weitreichenden kulturellen Einfluss gar auf die Landschaft ausgeweitet hatten - wer kennt schon den wahren Grund für die vielen erdverschiebenden Beben hier?

Die Wurzeln sagen:
Sie werden fallen!

Nun, daß einem solcherlei Gedanken früh am Morgen allein auf einem Hügel kommen, mag darauf hinweisen, daß der Aufstieg sehr anstrengend gewesen sein muss. Trotz meiner anscheinend schwindenden Aufgewecktheit ließen mich die spitzen Steine und die knorrigen Wurzeln, denen ich meine ganze Vorsicht widmete, zum Glück in Ruhe, zudem ich beim Aufstieg keiner Menschenseele begegnet war, was einen unglücklichen Fehltritt eventuell mehr als nur ärgerlich hätte werden lassen. Beim Abstieg jedoch überraschte mich eine weitere Attraktion des Hügels - eine bis dahin unscheinbare, aber glitschige Stelle, auf welcher mich auch prompt meine Füße überholten.

Den einzigen Menschen bekam ich auf dieser Wanderung zu Gesicht, als ich schon wieder fast am Fuße des Hügels angekommen war. Ein burschikos wirkendes Mädel, das mich mit seinen Wanderstrümpfen, Zöpfen und roten Rucksack frappierend an Heidi erinnerte. Ich weiß, daß Heidi weder Wanderstrümpfe, Zöpfe, noch einen roten Rucksack hat, aber hätte sie diese Dinge, so wäre jenes Mädchen ihr Ebenbild. Sie blieb stehen und grüßte mich brav, was mir etwas zu denken gab. Tatsächlich grüßt man sich fünfhundert Meter weiter im Dorfe anscheinend nicht; das muss heißen, daß wenn man zu den wenigen komischen Leuten gehört, die auf Hügel fragwürdiger Form klettern, dies irgendwie verbindet.

Schon letztens musste ich unwillkürlich lächeln, als mir ein junger Ausländer am Bahnhof empathisch zunickte. Der Mann war schwarz und daheim hätte ich ihn nicht automatisch als mir verbunden wahrgenommen, oder andersherum - befände ich mich in der Heimat jenes Mannes, so hätte er wahrscheinlich nicht gegrüßt. Auch wenn wir beide uns gegenseitig mindestens genauso fremd sein mögen, wie den Japanern gegenüber, ist wohl das, was uns hauptsächlich verbindet, unsere hiesige Zugehörigkeit zur Kategorie "Ausländer", durch die wir beide mit den gleichen Problemen und Vorbehalten konfrontiert werden. Fremd plus Fremd gleich Freund.

Als Weihnachtsgruß noch einmal Nippon pur: Der Fujisan, wie ich ihn heute endlich sehen konnte. Frohe Weihnachten alle miteinander! :-)

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